Die Radikalisierung von Islamisten findet lokal statt. Genau dort, wo die Moscheen auch auf dem Prüfstand stehen: lokal.

«Auch Muslime haben Angst»

Bekim Alimi, Sie sind der Wiler Imam aber gleichzeitig Präsident des Dachverbands Islamischer Gemeinden in der Ostschweiz (DIGO). Nach Vorfällen wie der Razzia in Winterthur müssen Sie deshalb öffentlich Stellung nehmen. Wie schwierig ist das?

Einerseits ist es nicht einfach. Denn häufig, wie bei der Razzia in Winterthur, sind es schwierige und heikle Geschichten. Andererseits bin ich auch froh, dass wir unsere Sicht der Dinge darlegen können. Wir vertreten die Lehre des Islams der Mitte und predigen dies auch. Darin haben extreme Haltungen keinen Platz.
Sie distanzieren sich von den Aussagen des Imams in Winterthur?
Natürlich. Das ist unakzeptabel. Wie wir der Presse entnommen haben, hat man dazu aufgerufen Muslime zu töten, die nicht in der Moschee erscheinen. Das ist schrecklich und absurd. Ich verstehe auch nicht, woher man diesen theologischen Beleg nimmt. Im Hadith (Aussagen des Propheten) steht lediglich, dass Gebete, die man in der Gemeinschaft abhält, 27 Stufen höher gewertet werden als ein anderes Gebet. Das ist alles.

Sie haben ja auch im Ausland studiert.

Ja, ich habe während vier Jahren die Al-Azhar-Universität in Kairo besucht. Ein zusätzliches Jahr habe ich für die Sprache gebraucht, da ich als Albaner kein Arabisch konnte. Die Universität ist weltweit für ihre moderate Position bekannt. Dort hat man uns auch mitgegeben, wie wichtig es ist sich dort zu integrieren, wo man predigt.

Die islamische Gemeinschaft in Wil ist nicht für extreme Positionen bekannt. Aber so ein Vorfall löst Unsicherheit aus. Spüren Sie das?

Ja. Wir haben im Moment schon sehr viele Anfragen – hauptsächlich von der Presse aber auch von Privatpersonen. Das ist natürlich das Resultat von den Geschehnissen in Winterthur. Und wir verstehen die Ängste. Aber wir hoffen, dass die Ängste von uns Muslimen auch verstanden werden. Denn uns schmerzt es, wenn ein junger Muslim beispielsweise nach Syrien in den Krieg zieht. Muslimische Eltern fürchten sich davor, dass so etwas dem eigenen Kind passieren könnte.

Auslöser für die Razzia in Winterthur waren ausländische Prediger. Laden Sie manchmal auch Imame aus dem Ausland ein?

Nein. Einen ausländischen Imam einzuladen, passt nicht wirklich in unser Konzept. Bei unseren Veranstaltungen setzen wir auf deutlich interaktivere Programme, oft auch mit Kindern. Da passt ein Prediger, der kommt, redet und dann wieder geht nicht gut hinein.

Könnten Sie prüfen, ob ein ausländischer Imam radikales Gedankengut mitbringt?

Das ist immer ein heikles Thema und manchmal sehr schwer nachzuprüfen. Man kann sich nur auf Referenzen, ältere Reden oder Publikationen berufen. Aber wer kann schon wissen, ob jemand in der Zwischenzeit radikalisiert wurde? Vielleicht müssen wir bei der Auswahl ausländischer Redner in Zukunft noch vorsichtiger werden.
Es gibt aber auch in Wil einen ausländischen Imam. Beim Türkischen Kultur- und Sozialverein wohnt und predigt ein türkischer Imam, der von der Türkei mitfinanziert wird …
Dabei handelt es sich um eine Abmachung zwischen der Schweiz und der Türkei. Die Imame bleiben normalerweise für fünf Jahre in der Schweiz und das finde ich auch nicht unbedingt gut so. Aber je länger ein Imam hier bleibt, desto höher ist seine Motivation sich zu integrieren.

Mitte Mai 2017 soll das neue Islamische Begegnungszentrum in Wil eingeweiht werden. Wirft der Vorfall von Winterthur auch ein negatives Licht auf dieses Projekt?

Ja. So funktioniert das menschliche Hirn einfach. Man liest, hört oder sieht etwas über den Krieg im Nahen Osten oder die Razzia in Winterthur und dann macht es Klick: Hier in Wil wird doch auch eine Moschee gebaut. Ob hier auch so etwas passieren kann? Dabei ist nicht einmal relevant, ob dort moderat gepredigt wird.

Was hilft in dieser Situation?

Wir müssen unsere Öffentlichkeitsarbeit intensivieren und transparent sein. Ein Beispiel dafür ist die Zuschauergalerie in unserer neuen Moschee. Von dort können Gäste zuhören und zuschauen – bei uns wird bereits seit 2004 auf Deutsch gepredigt. Dabei geht es aber nicht um eine Kontrolle. Wir wollen auch anderen ermöglichen, die
Spiritualität zu erleben. Wir haben nichts zu verbergen.

Ich muss sagen: Ein Besuch lohnt sich. Ein beeindruckender Bau.

Nicht wahr? Der grosse Gebetsraum nimmt rund 65 Prozent des ganzen Gebäudes ein. Auf den beiden Galerien kommen die Frauen und Gäste unter, die Männer beten auf der untersten Ebene. Der 15 Meter hohe Raum wird von einer grossen Kuppel überspannt. Sie wiegt 220 Tonnen.

Das imposante Gebäude wirft aber auch die Frage nach der Finanzierung auf. Gab es auch Spenden aus dem Ausland?

Dazu sage ich gerne etwas: Wir werden in nächster Zeit ein Treffen mit den zuständigen Steuerbehörden einberufen. Dort werden wir unsere Finanzen offenlegen. Das wird glücklicherweise ziemlich einfach. Denn wir sammeln seit rund zehn Jahren Spenden. Diese gingen alle auf ein Konto der St.Galler Kantonalbank ein. Wir können also einfach einen Kontoauszug den Kosten des Gebäudes gegenüberstellen. Ausserdem wissen wir genau, woher die Spenden gekommen sind. Wir sind zu 100 Prozent sicher, dass kein Rappen aus dem arabischen Raum, vom Balkan oder der Türkei stammt.

Und wie teuer wird es?

Unser Architekt ging ursprünglich von einer Summe von 5 Mio. Franken für den schlüsselfertigen Bau aus. Wir rechnen mittlerweile aber mit rund 3,5 Mio. Franken.

Sie sparen 1,5 Millionen. Wie das?

Das schaffen wir dank der vielen Gratisarbeit, die Gleichgesinnte für uns leisten. Wir haben das grosse Glück, dass viele Albaner in der Baubranche tätig sind und uns oft nur die Materialkosten verrechnen. Die gesamte Isolation wird gratis angebracht – heute arbeiten hier gerade einige Pensionäre. Und das ist bloss ein Beispiel.
Timo Züst

Quelle: http://wiler-nachrichten.ch/wil-region/detail/article/islam-misstrauen-waechst-0098029/

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